Motorola-Razr (Foto: Motorola)
Motorola-Razr (Foto: Motorola)

Das vergangene Smartphone-Jahr gehörte zweifelsfrei Handy-Weltmarktführer Samsung. Mit einer selbstbewussten Präsentation des Galaxy S2 vor einem Jahr auf dem Mobile World Congress in Barcelona setzte der südkoreanische Elektronikriese Maßstäbe: u. a. bei Größe und Brillianz des 4,3-Zoll-Super-Amoled-Plus-Displays, beim hauseigenen 1,2 GHz schnellen Dual-Core-Prozessor sowie beim 8,49 mm schlanken “Apple-Design”. Bis in den Herbst 2011 suchte der zahlungswillige “Early Adaptor” vergeblich nach echten Alternativen – auch meine Suche nach einem Schmuckstück in der “First Class” blieb leider vergebens.

Sony Xperia-S (Foto: Sony)

So nie … zunmindest bisher
Das Sony Ericsson Flagschiff Xperia Arc und dessen Nachfolger Arc S konnten mit ihrem 8,7 mm schlanken, extravagant geschwungenem Gehäuse die Süd-Koreaner klar auf die Plätze verweisen. Mit Single-Core-Prozessoren bis zu 1,4 GHz zählten die japanisch-schwedischen Schmuckstücke jedoch nie zur technischen Champions-League. Erst mit dem neuen Sony Xperia S schließen die Japaner zur Weltspitze auf – allerdings zu Lasten des einmaligen Designs.

Die Hoffnung stirbt erst zuletzt
Seit Oktober vergangenen Jahres schlägt das Droiden-Herz wieder höher. Dies liegt am neuen Google-Flagschiff Galaxy Nexus, dass mit einem 4,65-Zoll-HD-Display, dem neuen Android 4.0 “Ice Cream Sandwich” und 9,47 mm Umfang auf den Markt gekommen ist und mittlerweile unterhalb der 500,- €-Grenze verkauft wird. Beim Design werden die Nexus-Telefone aus dem Samsung-Werk jedoch auch künftig wohl keinen Pokal mit nach Hause bringen. Bleibt der Überaschungskandidat des Winters 2011/2012: Motorola Mobility.

Manchmal leben Totgesagte tatsächlich länger. Mit dem auf der CES 2011 in Las Vegas präsentierten Atrix bewies der amerikanische Handy-Veteran, dass er Eines kann: Telefone bauen. Nach dem gelungenen Milestone und dem interessanten Atrix schickte Motorola im Oktober letzten Jahres erste Fotos von ihrem neuesten Starphone durch die Blogs. Zugleich verkündete die designierte Google-Tochter die Wiedergeburt einer US-Legende: des Motorola Razr. Wir hatten die Gelegenheit, das neue Smartphone-Highlight im Berliner Alltag zu testen.

Android Boliden im Vergleich

Jedem seinen Sparrings-Partner
Das Razr ist das erste Smartphone, dass es mit dem Galaxy S2 von Samsung aufnehmen kann. Mit 7,1 mm dünnem Body und 127 Gramm liegt das Razr beim Schlankheitswettbewerb rd. 1,4 mm vorn, was man beim direkten Vergleich auch spürt. Beim Gruppenwiegen trennen den Ami nur wenige, kaum merkbare Gramm vom asiatischen Vorreiter. Insgesamt ist das Razr ein wenig höher als der asiatische Konkurrent. Müssen sich die Koreaner mit Apple um “Design oder nicht sein” streiten, zeigt Motorola einen eigenen Formfaktor mit abgeschrägten Kanten, wie bei den neuen 7- und 10-Zoll-Tablets.

Displays im Vergleich: Market
Displays im Vergleich: Browser

Kühler oder wärmerer Ton
Beim Vergleich der qHD-Auflösung von 960 x 540 Pixeln mit dem Wettbewerber Galaxy S2 fällt auf, dass die Bildschirmfarben des Razr deutlich wärmer wirken. Ob ein “Gelbstich” oder “Blaustich” angenehmer wirkt, liegt letztendlich beim Betrachter. Bei der Helligkeit nehmen sich die Displays nicht viel: Der Android-Browser wirkt im Razr heller, die Kacheln des Google Market dagegen im Galaxy S2 leuchtender. Das selbstleuchtende OLED-Display des Razr bietet mit 256 Pixeln pro Inch eine größere Brillianz als das S2 mit 217 ppi. Auch bei der Helligkeit schneidet es mit 371 cd/m² theoretisch besser ab, als der Rivale mit 350 cd/m².

Aber nicht in die Knie gehen
Bislang hielt ich Displays von mehr als 4,0-Zoll für sperrig. Beim Vergleich von Atrix mit 4,0- und Razr mit 4,3-Zoll-Display revidiere ich meine Meinung. Es macht Sinn, ein größeres Display zu nutzen. Ist das Telefon entsprechend schlank, passt es in jede Hemdtasche. Genau darauf sind die aktuellen Top-Smartphones ausgerichtet. Mit rd. 130 Gramm beulen die Flaggschiffe von Samsung und Motorola keine Hemdtasche aus. Mit 110 Gramm wird allerdings Chinas Vorzeige-Modell Huawei Ascend P1 S die Federführung übernehmen. Die 140 Gramm des Apple iPhone 4S und des Sony Xperia S können da nicht mithalten.

TI OMAP44x (Foto: Texas Instruments)

Auf die Kerne kommt es an
Vor allem die mit Quad-Core- und hochgerüsteten Dual-Core-Prozessoren ausgestatteten Boliden werden dem Razr einheizen: Für das Galaxy S3 erwarten Kollegen einen Quad-Core-Prozessor mit schätzungsweise 1,8 GHz Taktfrequenz. Und auch die 1,5 GHz Dual-Core-Taktung des neuen Sony Xperia S und des Huawei Ascend P1 sprechen für die 1. Handy-Liga. Damit wird die Luft im Luxus-Loft des Smartphone-Wettbewerbs dünner. Im neuen Razr verrichtet ein 1,2 GHz schneller Dual-Core-/Dual-Channel-Prozessor mit 1 GB RAM von Texas Instruments seine Arbeit – ein Nachfolger des im LG Optimus Speed arbeitenden Chips.

Mögen die Spiele beginnen…
Das Razr muss sich in diesem Jahr u. a. mit dem neuen, edlen LG Prada Phone mit 4,3-Zoll-Nova-Display, dem eleganten Sony Xperia S mit 4,3-Zoll-Bravia-Display, dem super-schlanken Huawei Ascend P1 S mit 4,3-Zoll qHD-Super-Amoled-Display sowie mit dem auf dem MWC in Barcelona erwarteten Galaxy S3 mit 4,65-Zoll-Super-Amoled-HD-Display messen lassen, dass bereits in Berlin gesichtet wurde. Das 10,9 cm große Super-Amoled-Advanced-qHD-Display im Razr wird von einem PowerVR SGX 540 Grafik-Chip angetrieben, dessen Technologie auch im Google Galaxy Nexus arbeitet.

Der die Fahrstuhltür besiegt
Neben einem eleganten Geräte-Design, einer komfortablen Display-Größe und dem akzeptablen Gewicht spielen die verbauten Materialien und ihre Verarbeitung eine Schlüsselrolle. Hier manövriert sich Motorola mit einer Kevlar-verstärkten Rückseite an die Spitze der Handy-Bauer – vom Metall-Verarbeiter Apple abgesehen. Kevlar ist eine extrem stabile, polymere Kunstfaser des US-Chemie-Giganten DuPont. Die im Vergleich zu Stahl 5-mal härtere Faser findet sich u. a. in schusssicheren Westen, Schutzhelmen, Pkw-Panzerungen, in Bremsbelägen, Segeln, Hockeyschlägern oder als Saiten von Tennisschlägern wieder.

Ein Gegner für das iPhone
Damit hat Motorola seinen Lieblings-Wettbewerber aus Seoul und dessen leichtgewichtige Kunststoff-Deckel k.o. gesetzt. Mit einem kratzfesten Gorilla-Glas setzt Motorola gleich noch einen Kinnhaken nach. Und als Krönung versieht der US-Anbieter die Oberfläche mit einer wasserabweisenden Beschichtung, die auch gegen fettige Fingerchen hilft. Bei einem Test mit einem Freund wollte dieser das Razr gar nicht mehr aus der Hand geben, so schmeichelnd sind Look & Feel des neuen Top-Telefons. Dies wiegt umso schwerwiegender, als dass es sich um einen eingefleischten iPhone-Nutzer handelt.

Professionell? Professionell!
Auch der ehemalige Chef der CeBIT und heutige Uni-Professor in Berlin staunte nicht schlecht über das Niveau aus dem Google Android-Lager. Als iPhone-Nutzer möchte er vor allem Desktop-Daten aus der Windows-Welt synchronisieren. Hier schneidet Apple naturgemäß eher schwach ab. Ein Ausweichen auf Nokias Lumia-Modelle mit Windows Phone, um den Anschluss an den Windows-Desktop nicht zu verlieren, ist bei Android generell nicht notwendig. Vielleicht kann ich ihn ja noch überzeugen…

Sicher ist nun einmal sicher
Mit der Möglichkeit zur Verschlüsslung von Daten, z. B. E-Mails, Terminen, Kontakten und Dateien auf der SD-Karte besitzt das Razr eine gute Chance, in Unternehmen zum Einsatz zu kommen. Das Sperren und Löschen im Falle eines Diebstahls ist im neuen Razr bereits integriert und kann individuell aktiviert werden. Mit der eigens entwickelten Smart Actions-App kann der Nutzer außerdem Einstellungen oder Meldungen gemäß Tageszeit und Beschäftigung vorab planen und automatisch ablaufen lassen.

“Bin schon da”, sagte das Razr
Wer den Bildschirm des neuen Razr erstmals entsperrt und Apps ausprobiert, wird eines sofort feststellen: Das Multitouch-Display reagiert extrem leicht und exakt auf Fingertipps. Gewählte Apps und Funktionen des Betriebssystems öffnen sich in Windeseile. Das Einrichten von vorinstallierten Widgets funktioniert in nur wenigen Sekunden. Die Abstimmung von Hardware (Dual-Core- und Grafik-Prozessor), Software (Android-OS) und Services (Apps) ist sehr gut gelungen. Dazu wirkt die hauseigene Oberfläche mit vorinstallierten Apps äußerst aufgeräumt, im Gegensatz zur Quietschebunt-Oberfläche aus Seoul.

Das Gerät fährt jetzt runter…
Bei der Akkulaufzeit verspricht Motorola mit 204 Stunden einen Standby-Betrieb von bis zu 8,5 Tagen. Dies ist sicher nur im Stromspar-Modus ohne größere Display- und Online-Einsätze erreichbar, obwohl die im Razr verwendete Display-Technik als stromsparender gilt. Als maximale Gesprächsdauer gibt der Hersteller einen Laborwert von 12,5 Std. an. Von allen Werten abgesehen, sollten sich Smartphone-Besitzer nach wie vor Ladekabel für Auto, Büro und Nachttisch zulegen.

Testfoto Indoor
Testfoto Indoor


Endlich hat Motorola sein Kamera-Problem gelöst. Als gebeutelter Milestone-User und bislang unzufriedener Atrix-Nutzer überrascht Motorola im Razr mit einer 8 Megapixel-Kamera, die mit bis zu 3.264 x 2.448 Pixeln auflöst. In einem Szene-Café am Rosenthaler Platz in Berlin-Mitte brachte es das Razr fertig, die schummerige Beleuchtung einschl. Disko-Kugel spontan zu einer Star-Beleuchtung aufzuwerten. Beim Anvisieren des Objekts konnte ich live mitverfolgen, wie der 8-fach digitale Zoom in Windeseile arbeitet. Auch die Schnellstart-Funktion bei gesperrtem Display ist ein sinnvolles Feature.

Auf einen Blick eingefangen
Eines der spannendsten Themen dieses Jahres ist die Video-Funktion von Smartphones. Dies gilt zum einen für Skype- und Google Hangout-Konferenzen via Handy. Zum anderen gehört es zum guten Ton, schnell mal spontan gedrehte Videos zu Facebook oder YouTube hochzuladen. Mein Test im Berliner Base-Camp zeigt: Das Razr ist mit der Full-HD-Aufnahme von 1.920 x 1.080 Pixeln beim Autofocus erstklassig, schwächelt jedoch beim automatischen Weißabgleich. Beim Galaxy S2 ist der Weißabgleich hervorragend, dagegen braucht Samsungs Flaggschiff wesentlich länger beim Regeln der Schärfe.

Licht und ein wenig Schatten
Größtes Manko ist die Qualität von Mikrofon und Lautsprecher. Zwar punktet Motorola mit seiner ausgereiften Freisprecher-Technik. Sowohl beim Autofahren als auch auf dem heimischen Sofa klang die Freundin aus Frankfurt jedoch ziemlich blechern. Mit Anschluss eines externen Hörers waren das Probleme sofort weg. Damit steht fest, dass Motorola hier nachlässig war und weder Festnetz- noch Mobilfunk-Anbieter die Schuldigen sind. Doch auch das Galaxy S2 schwächelt: Die Tests von Kollegen ergaben u. a. einen dumpfen und weit entfernten Klang beim Telefonieren.

Ein wenig Kleinkarriert(erer)
Nicht gefallen hat mir auch die sperrige Platzierung des Micro-USB-Anschlusses an der Oberseite des Razr. Verständlich ist, dass Motorola die Einheit mit den wichtigsten Anschlüssen und Kamera nicht wie beim Galaxy S2 an die Unterseite setzen konnte. Ideal ist hier die Platzierung des USB-Ports an der Seite, wie beim – zugegeben – deutlich dickeren Atrix. Bei Nutzung von alternativen Handy-Halterungen im Auto und Handy-Ablagen auf Schreib- oder Nachttisch bietet sich die seitliche Buchse zum Anschluss eines Ladeskabels ideal an.

Am falschen Ende gespart
Auch beim Razr verzichten die Amerikaner auf die Abdeckung von Micro-USB- und Mini-HDMI-Anschluss. Da diese nach innen versetzt sind, stört der fehlende Deckel nicht wirklich – außer das Telefon landet in der Kloschüssel – Apples häufigster iPhone-Reparatur-Fall. Störender ist aus meiner Sicht der seitliche Einschub für Micro-SIM und Micro-SD-Card. Die Abbildung für die richtige Platzierung der Telefonkarte ist – vorsichtig ausgedrückt – komplett unbrauchbar. Mit Business-Komfort hat dies nichts zu tun.

Closed oder Open Shop?
Ein weiterer Störfaktor ist aus meiner Sicht der nicht wechselbare Akku. Dies ist dem schlanken Gehäuse-Design geschuldet, sollte für Power-User bei einem Razr-Update jedoch überdacht werden. Trotz des verbauten 1.780 mAh Li-Ion-Akku gehen modernen Smartphones nach 1-1,5 Tagen ohne Steckdose gern mal die Luft aus. Hier ist der Austausch des Akkus bislang einer der großen Pluspunkte gegen Apples Closed-Shop-Politik gewesen. Schade, dass sich Motorola an dieser Stelle Samsungs Apple-Nachbau-Politik anschließt.

Der weitere Ausblick:
Im Frühjahr soll das neue Motorola Razr auf die aktuelle Android-Version 4.0 “Ice Cream Sandwich” upgedated werden und damit auch bei der Software ganz vorn mitspielen dürfen. Zudem wird sich zeigen, ob das neue Motorola Lapdock, dessen Technologie im Razr schon drin steckt, als mobile Tastatur- und Bildschirm-Erweiterung punkten kann. Seinen Platz in der ersten Reihe der Top-Smartphones hat das Razr jedoch bereits jetzt zurecht einnehmen dürfen.

Das moobilux-Fazit:
Das Motorola Razr ist eine Meisterleistung der US-Mobilfunk-Industrie: vom auferstandenen Handy-Veteran Motorola entworfen, mit einem Texas Instruments Hochleistungs-Prozessor einschl. hochgerüstetem Grafik-Chip angetrieben, durch Googles Betriebssystem Android auf die Siegerspur gesetzt, mit dem traditionsreichen Namen Razr positiv in Stellung gebracht und mit DuPonts Super-Kunststoff Kevlar Marketingmäßig interessant promotet.

Es ist gut zu wissen, dass die “westliche Welt” ab und zu exzellente Produkte entwirft und produzieren lässt. Zudem ist es wichtig, dass wenigstens ein Android-Hersteller in der Lage ist, Microsofts unverholenden Erpressungsversuchen stand zu halten und gegen Apples Prozess-Lawine gewappnet ist. Allein dies ist einen Blick mehr auf Motorolas aktuelle Geräte wert. Mit dem künftigen Eigentümer Google könnte Motorola schon bald für einige Überraschungen sorgen, was die Technologie-Führerschaft bei Smartphones betrifft.

Das Motorola Razr gehört beim Design neben dem LG Prada Phone, LG X3, dem Samsung Galaxy S2/3 und dem Sony Xperia S ins aktuelle Mind-Set ansprüchsvoller Kunden. Prozessortechnisch auf einer Höhe mit dem Galaxy Nexus wird es mit dem Huawei Ascend P1, dem Galaxy S3, dem LG X3 und dem Xperia S konkurrieren. Auf Grund der Hochpreispolitik von Samsung und dem teuereren Galaxy Nexus gehört das Razr mit Preisen ab 410,- € neben dem Huawei- und dem Sony-Gerät zu den preislich interessanten Geräten in der 1. Jahreshälfte 2012.

Unsere Meinung: Exzellente Technik, attraktives Design, interessanter Preis.

 

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